Jenseits der „Juten Sitten“ – Die Darstellung von Prostitution in der Kunst der Weimarer Republik

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Beginnt ein Werk, das unterhalten soll, mit einem Gesetz?  In „Die juten Sitten“ von Anna Basener spielt das 1927 verabschiedete neue „Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten“ (Link: http://www.zaoerv.de/01_1929/1_1929_2_b_536_2_541.pdf) zu Beginn eine zentrale Rolle: Im Leben der kleinen Hedwig sorgt es für noch mehr Aufregung, als sie ohnehin schon hat. Als erwachsene Frau in den fünfziger Jahren erzählt sie einem jungen Reporter, warum: Sie wuchs auf im Bordell „Ritze“ in der Mulackstraße, von Curt Moreck im „Führer durch das lasterhafte Berlin“ (interner Link) bereits beschrieben. Mehr zu „Die juten Sitten“ gibt es im audible.de-Magazin unter  https://magazin.audible.de/die-juten-sitten-hoerspiel/)

Das neue Gesetz sorgte für ein Recht auf ärztliche Behandlung für Menschen, die sich dies nicht leisten konnten, durch öffentliche Mittel – ein Grund, weshalb es auch linksgerichtete Mediziner begüßten. Ebenso wurde Prostitution durch das neue Gesetz weniger kriminalisiert, Einschränkungen gab es nur noch, wenn das Gewerbe in der Nähe von Schulen, Kirchen, oder Orten, an denen sich Minderjährige aufhalten, ausgeübt wurde. Deshalb kann sich im Hörspiel eine selbstbewusste und zielstrebige Bewohnerin der „Ritze“ registrieren lassen und als Geschäftsfrau bezeichnen. Gleichzeitig droht dem Kind der Verweis ins Kinderheim, weil ihre Großmutter als „Puffmutter“ den Bordellbetrieb nicht vor ihr verheimlichen kann.

Zeitgenössische Filme schildern Prostituierte weniger selbstbewusst. Sie erscheinen eher als bemitleidenswerte „gefallene Mädchen“  wie G.W. Pabst in „Tagebuch einer Verlorenen“: Das junge Mädchen aus bürgerlichen Kreisen gerät durch gewissenlose Männer ins Elend und in die Prostituion. Rettung bietet letztlich ein Mann aus höheren Kreisen.  (Link: https://www.youtube.com/watch?v=tfDpxbbS_Wg). In „Jenseits der Straße“, ebenfalls aus dem Jahr 1929, ist die Prostituierte lediglich die berechnende Verführerin, die den in sie verliebten jungen Mann eiskalt fallen lässt, als dieser ihr materiell nichts mehr bieten kann.

Einen anderen Aspekt zeigt Irmgard Keun in ihrem Roman „Gilgi – eine von uns“, erschienen 1931: Die Protagonistin, eine unsentimentale, zielstrebige junge Büroangestellte, sinniert über eine ihrer ebenso jungen Kolleginnen. Diese kann sich dank gelegentlicher Herrenbekanntschaften und Gefälligkeiten mehr an Kleidern und Vergnügungen leisten, als es ein durchschnittliches Stenotypistinnengehalt hergibt: „Warum soll ihr nicht mal einer ´ne Bluse schenken? Schlecht ist ein Mädchen darum noch lange nicht. Sie kann sich nichts kaufen, muss ihr ganzes Gehalt der Mutter geben. (…) Gilgi hat die nuttige kleine Behrend tausendmal lieber als ihre braven Kusinen. Die ist so flink und fleißig wie eine Ameise und immer vergnügt und gefällig.“ In einer Gesellschaft, in der zwischenmenschliche Beziehungen sachlicher, unsentimentaler, geschäftsmäßiger wurden, wurden auch sexuelle Gefälligkeiten gegen Geld weniger tabuisiert. Gefühlskälte bedeutete dies noch lange nicht, wie Keuns nachdenkliche, sensible Titelheldin zeigt.

© Annette von Czarnowski

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