Wenig Glanz, viel Elend
Die Ausstellung „Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ in der Frankfurter Schirn präsentiert Bildende Kunst als Sozialgeschichte und zeigt neben Dix und Grosz auch Werke fast vergessener Künstler – Impressionen:
Frankfurt. Der Betrachter findet sich direkt vor den Menschen, die dicht gedrängt über den Kurfürstendamm, Berlins Prachtstraße ziehen. Die drei individuell porträtierten Personen im Vordergrund schauen am Betrachter vorbei ins Leere – oder auf die Schaufenster? Hinter ihnen wogt eine anonyme Menschenmasse. Eine Laterne, greller als die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Autos, beleuchtet die Rippen eines ausgemergelten Droschkengauls, direkt hinter dem bettelnden Quintett am Straßenrand, fünf ärmlich gekleideten Gestalten ohne Kopfbedeckungen. Auch die drei „behüteten“ Personen im Vordergrund, zwei Frauen, ein Mann, wirken nicht übertrieben glamourös.
„Kurfürstendamm“, 1924 gemalt von Albert Birkle (1900-1986) zeigt ein gespenstisches, wenig glanzvolles Berlin kurz nach dem Ende der Inflation, beim Einsetzen des Dawes-Plans, der Deutschlands Wirtschaft ein paar Jahre Stabilität und Erholung bescherte. Diese Periode von 1924 bis 1929 wird gerne als „Goldene Zwanziger Jahre“ glorifiziert und nostalgisiert, die Ausstellung „Glanz und Elend der Weimarer Republik“ bezieht die ganze Ära von 1918 bis 1933 ein. Dabei hielt die Kuratorin Ingrid Pfeiffer sich nicht mit Stildefinitionen zwischen Neuer Sachlichkeit, Magischem Realismus und Verismus auf sondern gruppierte die rund 200 Werke von 62 Kunstschaffenden der Zeit um die Themen, die Politik, Kultur und Gesellschaft prägten: Die instabile, von Nationalisten abgelehnte Republik, soziale Gegensätze, Kriegsfolgen, Prostitution, die Großstadt, aber auch Sport, die neue Freizeit- und Vergnügungskultur, die Paragraphen 218 und 175, Technik und Industrie sowie das Klischee der „Neuen Frau“ sind Anknüpfungspunkte.
„Epoche am seidenen Faden der Demokratie“
„Eine Epoche am seidenen Faden der Demokratie“ nennt Philipp Demandt, Direktor der Schirn Kunsthalle, die Weimarer Republik. Den Besucher allerdings empfangen im Treppenhaus erst einmal Wahlplakate, Zeugnisse der heftigen Auseinandersetzungen in der jungen Weimarer Republik. Frauen als Neuwählerinnen sind eine umworbene Zielgruppe. Auffällig sind äthetische Übereinstimmungen: Sowohl Plakate des linken als des rechten Rands zeigen männliche Kraftgestalten.
Der „Auftaktraum“ enthält für jeden Themenkomplex ein exemplarisches Werk, darunter den erwähnten „Kurfürstendamm“. Beim Konzept bekennt Pfeifer sich zu ihrem soziologischen Blick auf die Werke. „Kunst als Kunst ist mir persönlich nicht so spannend“. Die Auswahl zeigt, dass den Werken noch heute eine Kraft innewohnt, die sie nicht auf die reine Illustration sozialer und politischer Verhältnisse reduzieren. Einige Ikonen der damaligen Kunst, zum Beispiel Dix´ „Anita Berber“, Christian Schads „Sonja“ und „Lotte“ sind nicht zu sehen, dafür Werke, die an Ausdruckskraft in nichts nachstehen. Rudolf Schlichters „Margot“ unterläuft das Klischee der „Neuen Frau“, Karl Völkers „Bahnhof“ könnte, so Pfeiffer, „auch aus den siebziger Jahren sein“. Grundsätzlich hätte sie Bilder der „Neuen Sachlichkeit“ gesehen, die sie „wahnsinnig aktuell fand“. Beeindruckt zeigte sie sich davon, dass das Hakenkreuz sich bereits in Werken von George Grosz und Georg Scholz in den frühen zwanziger Jahren fand.
Neuentdeckungen
Mit Otto Griebel, Hans und Lea Grundig sowie der Dix-Schüler Curt Querner, dessen „Agitator“ im Auftaktraum hängt, würdigt die Ausstellung Künstler des proletarisch-revolutionären Spektrums, die überwiegend in der DDR rezipiert wurden. Auch sonst war es, so Demandt, Ziel, auch weniger bekannte Künstler „dem Kanon zuzuführen“. Die nächtlichen Stadtansichten des Schwaben Reinhold Nägele sind eine Entdeckung, der eher für seine satirischen Graphiken bekannten Georg Scholz stellte einen einsam-melancholischer Bahnwärter in seiner winzigen Wirkungsstätte dar. Im Themenkomplex „Neue Frau“ wird die emigrierte Lotte Laserstein mit ihrer modellierenden, lichtdurchfluteten Malweise gewürdigt. Richard Birnstengels Werk „Laborantin“ zeigt den Typus der „Neuen Frau“, kurzhaarig und knabenhaft, ausnahmsweise einmal nicht rauchend oder im Nachtleben, sondern bei der Ausübung eines wissenschaftlichen Berufes. Die Werke der Dix-Schüler Hainz Hamisch und Rudolf Bergander tragen die Handschrift ihres Lehrers etwas zu offensichtlich.
Keine Idyllen
Es fehlen Vertreter der „idyllischen“ oder konservativen Richtung wie Georg Schrimpf und Alexander Kanoldt. Ersterer hätte weniger mit seinem Werk, eher mit seiner Biografie ins Konzept gepasst, in ästhetischer Hinsicht vermisst die Verfasserin dieser Zeilen seine manchmal doch recht blutleeren Frauengestalten nicht.
Exkurse zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte einiger Werke hätte die Ausstellung um eine interessante Facette bereichert. Waren provokante Werke, zum Beispiel eine freizügige Darstellungen homosexueller Sexualität in einer Zeichnung Christian Schads, für die Atelierschublade bestimmt, wurden sie in Kunstzeitschriften reproduziert, in Galerien ausgestellt oder einem Kreis Eingeweihter gezeigt? Karoline Hilles Katalogbeitrag „Der Paragraph 218 und die „Sache der Frauen“ deckt diese Lücke ab, indem er die Ausstellung „Frauen in Not“, 1931 im „Haus der Juryfreien“ in Berlin einbezieht: Werke zum Thema „§ 218“ präsentierte man eingebettet zwischen Werken anerkannter, unangreifbarer Künstler wie Picasso.
Den Kontext, in dem viele Künstlerinnen, die durch ihr Leben den Typ „Neue Frau“ präsentierten, ihren Lebensunterhalt verdienten, zeigt die Präsentation der Werke Jeanne Mammens und Dodos alias Dörte Clara Wolff. Beide schlugen sich als Illustratorinnen für Satireblätter und Illustrierte durch. Gerade Mammens Aquarelle mit Schilderungen aus der Lesbenszene, den Kosmetiksalons, der Tanzlokale wurden oft mit sinnentstellenden Unterschriften kommerzialisierbar gemacht.
Annette v. Czarnowski
„Glanz und Elend in der Weimarer Republik“ ist bis zum 25. Februar 2018 in der Kunsthalle Schirn in Frankfurt zu sehen.
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