Karel Capeks Science-Fiction-Drama “Rossums Universal Robots” in Berlin und Köln
Ist der Schöpfer automatisch moralisch, technisch, ästhetisch besser als sein Geschöpf? Wo liegen die Grenzen von Mensch und Maschine? Wie menschenähnlich muss oder darf ein Roboter sein, um gemeinsam mit Menschen zu funktionieren? Der künstliche Mensch war ein Thema, das sich durch Kunst und Literatur der Zwischenkriegszeit zog, nicht nur in Deutschland. Fritz Langs “Metropolis” oder Gustav Meyrinks “Der Golem” sind nur die bekanntesten Beispiele. Das Ensemble “Gamut Inc” brachte jetzt Karel Capeks Science-Fiction-Drama “Rossums Universal Robots” als Oper auf die Bühne.
Ursprung im Science-Fiction-Drama
Die Handlung der Oper setzt ein, wenn das zugrunde liegende Stück eigentlich beendet ist. In “Rossums Universal Robots” (der Titel verballhornt das tschechische Wort für “Verstand”, demnach kreierte Otto Pick in der deutschen Fassung den Titel “Werstands Universal Robots”) lässt ein versierter Ingenieur auf einer Insel menschenähnliche Roboter produzieren, einzig zu dem Zweck, dass diese dem Menschen Arbeit abnnehmen. Helena, die Tochter eines führenden Politikers, besucht die Insel und ist entsetzt über das stupide Leben dieser seelenlosen Androiden. Sie sorgt dafür, dass den Robotern eine Seele einprogrammiert wird. Logische Folge: Die Roboter wollen den Menschen nicht mehr dienen, sondern zetteln einen Aufstand an, bei dem sie die Menschen, bis auf einen, vernichten. Der einzige Überlebende ist jedoch nicht der erhoffte Naturwissenschaftler: Alquist ist Baumeister und war bereits fortschrittskritisch, bevor Helena den Robotern Seelen “einbauen” ließ. So sitzen die Roboter schließlich doch in der Klemme: Ihre Lebensdauer ist begrenzt, aber fortpflanzen können sie sich nicht. Der letzte lebende Mensch ist nicht in der Lage, sie mit Reproduktionsfähigkeit auszustatten. Das Theaterstück hat logischerweise kein Happy End, enthält jedoch noch eine Liebesgeschichte zwischen Helena und einem der beseelten Roboter.
Von Karel Capeks Theaterstück übernimmt die Produktion nur die Reflexionen über Menschsein- und -bleiben, über Vergänglichkeit, das Verhältnis von (Er-)Schaffendem und Geschöpf, Vollkommenheit und Unsterblichkeit.
Weder Belcanto noch Mitfühl-Theater
Sechs rotierende Scheiben, an Op-Art erinnernd, füllen zu Beginn die Bühne des Kölner Comedia-Theaters aus. Auf Rollen montiert, werde sie von den Protagonisten im Laufe der Aufführung mal frontal zum Publikum, mal paarweise, mal hintereinander angeordnet. Georg A. Bochow (Countertenor) und Gina May Walter (Sopran) sind – in der Oper eigentlich unüblich – mit Headset-Mikrophonen ausgestattet. Patric Schott im Habitus des zerstreuten Wissenschaftlers mit wirrem Haar ist in öder Morgenroutine bei seiner Gymnastik, später an seinem Schreibtisch zu sehen.
Der Bühnenraum präsentiert Alquist in seinem Laboratorium. Mit einem der Roboter liefert er sich Diskussionen um Vollkommenheit, Unsterblichkeit und die Grenzen der Schöpfung, auf eine Handlung oder einen Spannungsbogen wird verzichtet. Als Nicht-Opern-Bewanderte stellt sich die Verfasserin dieser Zeilen die Frage, warum für diese Texte gerade die Vortragsform Gesang gewählt wurde, die selbige unverständlich macht.
Identifikation mit einer der Figuren, Spannungsbogen – auf das was eine traditionelle Theaterhandlung ausmacht, muss das Publikum verzichten. Die – der Terminus ist Notlösung – Industrial-Musik muss man mögen, angesichts der technischen und gesellschaftlichen Realität der Entstehungszeit wirkt sie schlüssig. Die rotierenden Scheiben und die meisterhafte Lichtregie, die die Gesichter noch puppenhafter anmuten lässt, als dies Schminke und Maske vermögen, passt zum Inhalt. Nicht erschlossen hat sich Verfasserin dieser Zeilen die Bedeutung des anthropomorphen, gesichtslosen Wesens im grauen Ganzkörperanzug, das stumm im Tanz über die Bühne wirbelt. Der RIAS-Chor auf der Videowand ergänzt die Monologe von Alquist und seinem Roboter-Gegenspieler.
Fazit: Anstrengend, aber mit viel Atmosphäre bringt Gamut Inc Fragen auf die Bühne, die gruselig aktuell sind. Ihr Verdienst bleibt, Capeks Werk dem Vergessen zu entreißen. Wünschenswert wären mehr als die Handvoll Berliner und Kölner Aufführungen.
Köln, 9.2.2022
GAMUT INC / Marion Wörle, Maciej Śledziecki:
Kompositionen für den RIAS Kammerchor, Gesangsarrangements für Sopran und Countertenor, Elektronik, Konzept, Inszenierung und Licht
FRANK WITZEL: Libretto nach Motiven von Karel Čapek
RIAS KAMMERCHOR / als Videoprojektion: Chor der Menschen/Chor der Roboter
RALF SOCHACZEWSKY: Dirigent RIAS Kammerchor
GINA MAY WALTER: Sopran
GEORG A. BOCHOW: Countertenor
RUBEN RENIERS: Tanz, Choreografie
PATRIC SCHOTT: Schauspiel
Verweise:
https://digital.slub-dresden.de/werkansicht/dlf/367001/1/ – Digitalisat von “Werstands Universal Robots”, der deutschen Übersetzung von “Rossums Universal Robots”.
https://gamutinc.org/ – Website des Ensembles “Gamut Inc”
Presse:
Opernfreund.de – Rezension von Ingo Hamacher
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/sendung-vom-3-februar-2022-100.html – Bericht von 3sat Kulturzeit
https://www.tagesspiegel.de/kultur/maschinen-musiktheater-roboter-stressen-die-synapsen/27997290.html – Verriss auf Tagesspiegel.de
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