„Ein kleiner Spaß großer Schriftsteller“

Rezension: „Mord im Fahrstuhlschacht“

Tatsachenreihe von Bertolt Brecht und Walter Benjamin, ins Holz geschnitten von Steffen Thiemann, mit einer Nachbemerkung von Erdmut Wizisla

1993 soll Lorenz Jäger in einem Beitrag zum Brecht-Jahrbuch bereits auf Übereinstimmungen in der Werkausgaben Bertolt Brechts und Walter Benjamins aufmerksam gemacht haben: In beiden finden sich Hinweise auf ein gemeinsames Projekt, einen Kriminalroman. Beide sollen ein Faible für Kriminalromane gehabt haben. Im Pariser Exil soll sie diese Vorliebe zu einem Projekt gebracht haben, das nur als Fragment erhalten ist. Genauer gesagt: 18 Typoskriptblätter in Brechts Nachlass, wohl auch unter Mitwirkung von Margarete Steffin, zeugen davon, ebenso Erwähnungen in der Korrespondenz Walter BenjaminsZur Ausstellung „Benjamin und Brecht. Denken in Extremen“ hat die Akademie der Künste sich dieses Fragments angenommen. Das unter dem Titel „Tatsachenreihe“ festgehaltene Typoskript bildete die Grundlage zu Steffen Thiemanns Graphic Novel, ergänzt durch handschriftliche Anmerkungen Benjamins. Der Titel „Mord im Fahrstuhlschacht“ geht auf Lorenz Jäger zurück.

Erpressung und Ehebruch

Protagonist ist Karl Seifert, offiziell Vertreter für Rasierklingen. Sein wahrer Broterwerb, von dem auch seine Ehefrau nichts weiß, ist jedoch die Erpressung: Von Aktiengesellschaften, die ihre Geschäftsberichte nicht rechtzeitig vor der Aktionärsversammlung veröffentlichen, kassiert Seifert Schweigegeld. Wenn er auch selten mehr als eine Aktie einer Firma besitzt, verschafft ihm dies dennoch die nötige Macht, um Firmenchefs entsprechend nervös zu machen. Als er jedoch bei einem „Geschäftsaufenthalt“ in einer Kleinstadt eine weitere kleine Erpressung „mitnehmen“ will, laufen die Dinge aus dem Ruder: Statt klein beizugeben, sucht die Firma einen Sündenbock in den eigenen Reihen und findet ihn in der Druckerei. Diese gibt die Schuld weiter an ihre Sekretärin, die sich nicht rechtzeitig um die Veröffentlichung des Geschäftsberichts gekümmert haben soll. Von Seifert um eine „Gefälligkeit“ gebeten, erkennt diese ihre Rolle in Seiferts Spiel. Gleichzeitig sucht Seiferts Frau ihn im Hotel auf, weil sie ihn – zu Recht – dort mit einer Geliebten vermutet.

Anspielungsreiche Umsetzung

Thiemanns Graphic Novel macht die trockenen Notizen Brechts zugänglicher. Anmerkungen Benjamins tauchen, durch ein stilisiertes Gesicht als Vignette gekennzeichnet, wie Fußnoten auf. Die Figur des Aufklärers, eines pensionierten Richters, der sich als Detektiv betätigt, weil er nicht nach Hause will, wird in Brechts Notizen eher zur Randfigur. . <!–Der Figur des Detektivs als Spielart des Flaneurs beschäftigte Benjamin in seinen Schriften, zum Beispiel in den Notizen zum „Passagenwerk“. — > Stilistisch an die Holzschnitte Heckels und Kirchners, zum Beispiel zu „Peter Schlemihl“ angelehnt, wagt Thiemann kleine Ausflüge ins Karikaturhafte, zum Beispiel, wenn er den Gedanken von Seiferts Gattin an die Konsequenzen einer Eifersuchtsszene Katzengestalt verleiht. Einer der Ganoven, die Botschaften mittels einer inszenierten Schachpartie übermitteln, verleiht Thiemann die Gesichtszüge Walter Benjamins. Ein Bettler steht vor einem Filmplakat zu „M“ – wie im Vorbild auf Zelluloid.

Das unhandliche Format macht die Graphic Novel zu einem echten Liebhaberstück, das sicher nicht das Genre revolutionieren wird, aber dennoch einen unterhaltsamen Zugang zu zwei sperrigen Autoren schafft.

Annette v. Czarnowski

 

Link: Interview mit Steffen Thiemann:

https://www.adk.de/de/archiv/news/?we_objectID=57834

 

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