Jason Lutes; Berlin steinerne Stadt; Hamburg 2003, Carlsen Comics, engl. Ausgabe 2001 „Berlin City of Stones“.
Ein unterhaltsames, eifrig zitierendes wenngleich etwas bemühtes Zeitbild will Jason Lutes mit seinem auf drei Teile angelegten Comic-Epos „Berlin“ geben. Der erste Teil, „Berlin, steinernde Stadt“ erzählt in Episoden die Geschichten mehrerer Menschen im Berlin der späten zwanziger Jahre: Die Kunststudentin Marthe Müller stammt aus großbürgerlichem Elternhaus und kommt 1928 nach Berlin, um eben diesem zu entfliehen. Im Zug lernt sie den Journalisten Kurt Severing kennen. Später erfährt der Leser, dass Severing für die damals berühmte „Weltbühne“ schreibt, auch deren Chefredakteur Carl von Ossietzky bekommt seinen Gastauftritt, während Severing mit Zügen von Erich Kästner und Kurt Tucholsky ausgestattet ist. Er beobachtet, kommentiert, aber greift nicht ein.
Die Arbeiterin Gudrun Braun, die mit ihren Töchtern ihren Mann Otto verlässt, als sie ihre Stelle verliert, das Fabrikantenehepaar Faber, die jüdische Trödlerfamilie Schwartz im Scheunenviertel, Marthes Studienkollegen und der Polizist Lemke, in seiner Haltung des „gesunden Menschenverstandes“ eine Art kleinbürgerliches Gegenstück zu Severing, komplettieren die Personen.
Alle Schicksale lässt Lutes wie Zahnräder ineinander greifen: Gudrun Brauns Mann wird Nazi, die Eltern Schwartz ahnen nicht, dass ihr Sohn David die Arbeiter Illustrierte Zeitung (A.I.Z.) austrägt und mit den Kommunisten sympathisiert, als Faber ein Werk schließt, verliert Gudrun ihre Arbeit.
Lutes zeigt Bemühungen, ein gut recherchiertes Zeitbild zu geben und entfaltet einen Bilderbogen, der aus allem besteht, was zu einem die „Zwanziger-Jahre-Panorama“ dazu gehört: Zeichnungen zitieren Künstler wie Karl Hubbuch oder Christian Schad, die Texte sprachliche Mittel wie Statistik, Aufzählungen oder Montagen und der Weltbühne-Prozess wird ebenfalls erwähnt. Als zeichnerische Schwäche wäre auf starre Mimik der Figuren hinzuweisen, als sprachliche die, das Lutes und sein Übersetzer Heinrich Anders das „Berlinern“ lieber denen überlassen sollten, die es können. (© Annette von Czarnowski, erstmals veröffentlicht Januar 2008)