1931 veröffentlichte Curt Moreck seinen „Führer durch das lasterhafte Berlin“. Der be.bra-Verlag widmete ihm eine Neuauflage, leider ohne die künstlerischen Illustrationen des Originals.
Reiselust?
„Jeder einmal in Berlin“, war der ehrgeizige Titel einer vierseitigen Broschüre, die das Ausstellungs-, Messe- und Fremdenverkehrsamt der Stadt Berlin 1927 herausgab und die mehrere weitere Auflagen erlebte. Den Text ergänzten die Noten des gleichnamigen Marschliedes von Hugo Hirsch. Das Titelfoto montierte Albert Vennemann, dem das Kunstgewerbemuseum, der heutige Martin-Gropius-Bau, 1932 bereits eine eigene Ausstellung widmete. Der, soweit die Kurzrecherche der Autorin dies offenlegen konnte, fast vergessene Fotograf, dem eine kleine Berliner Edition eine Neuauflage widmete, montierte auf dem Umschlag den Turm des Roten Rathauses, das Brandenburger Tor und den Funkturm, Wahrzeichen des alten preußischen und des modernen Berlin.
Nachweise:
http://berlin1920s.blogspot.de/2017/03/albert-vennemann.html
http://www.travelbrochuregraphics.com/Germany_Pages/Germany_25/BerlinJederEinmal.htm
http://kasselerfotobuchblog.de/fuenf-kubikmeter-buecher-gesucht/
Die Publikation zeigte die wachsende Bedeutung des Tourismus für Berlin und den Versuch, ein breites Publikum mit mehreren Medien in einer modernen Formensprache zu erreichen. Dabei stellen sich Fragen wie:
Wer war die Zielgruppe in einer Zeit, als die ersten ernst zu nehmenden Urlaubsregelungen auch für Arbeiter entstanden? Wer konnte es sich überhaupt leisten, einige Tage „just for fun“ in Berlin zu verbringen? Dieser Exkurs in die Tourismusforschung überschreitet den Rahmen einer Rezension.
Zumindest war die Zielgruppe groß genug, dass Curt Moreck alias Konrad Haemmerling, (1888-1957) 1931 einen Stadtführer mit dem Titel „Führer durch das lasterhafte Berlin“ herausbringen konnte.
Kein Reiseführer-Autor
Morecks Werk zeigt keine Spezialisierung auf Reiseführer, vielmehr veröffentlichte er kultur- und sittengeschichtliche Werke, darunter vielsagende Titel wie „Das weibliche Schönheits-Ideal im Wandel der Zeiten“ oder „Das Weib in der Kunst der neueren Zeit“.
In seinem „Führer durch das lasterhafte Berlin“ arbeitet er sich von West nach Ost durch, Lesende erfahren etwas über das Phänomen der Mokkadielen. Tanzlokale, für damalige Begriffe exotische Restaurants und zu guter Letzt die Treffpunkte männlicher und weiblicher Homosexueller werden abgearbeitet.
Nebenher ergeht er sich in Exkursen zur zeitgenössischen Sittengeschichte, zum Beispiel verweist er auf den weltkriegsbedingten Männermangel:
„Der fühlbare Männermangelhat die Frau vor die Wahl gestellt, nicht wählerisch zu sein oder allein zu bleiben. Selbst das männliche Ekel hat heute immer noch neunzigprozentige Hoffnung auf Erfolg.“
Kontext ist seine Schilderung einer Bar mit Tischtelephon. In der Bar „Femina“ an der Nürnberger Straße erfüllt die Rohrpost den gleichen Zweck, zur Vermeidung von Taktlosigkeiten gab es eine Zensur im Lokal.
Armchair-Travelling und Voyeurismus?
Bei seiner Beschreibung der Lokalitäten nennt er Str ennamen aber keine genauen Adressen oder andere, für Touristen interessante „hard facts“ wie Öffnungszeiten oder ÖPNV-Anschlüsse. Dies wirft andere Fragen auf: Wie verkaufte sich dieses Buch, wer war letztendlich die Zielgruppe? Erstanden wirklich Menschen, die eine Berlinreise planten, das Buch, oder war es eher Lektüre, um den Voyeurismus zu befriedigen? Armchair-Travelling für Menschen in der Provinz mit einem kleinen verruchten Touch?
Das Original von 1931 und der Neudruck haben das handliche Reiseführerformat von 12,1 x 19,3 Zentimeter und passen somit in jede Manteltasche. Die be.bra-Ausgabe ist ergänzt durch ein Glossar – wer kennt heute schon noch die Bedeutung des Wortes „Cicisbeo“ – sowie zwei Ausschnitte aus alten Berliner Stadtplänen auf dem Inneren des Einbands.
Vorenthalten werden dem Leser dagegen leider die zahlreichen Abbildungen damals namhafter Künstler wie Jeanne Mammen und Christian Schad, durchaus ein Mehrwert, den andere Neuauflagen, zum Beispiel eine des Nicolai-Verlags von 1996 oder ein Faksimilie der edition divan von 1987, behielten. Beide sind mittlerweile nur noch antiquarisch zu Phantasiepreisen erhältlich,
Warum sollte man Morecks kleines Werk heute noch lesen? Geschichtsinteressierte, die Spuren der Vergangenheit suchen, werden auf jeden Fall fündig. Fans von „Clärchens Ballhaus“ stoßen auf eine Beschreibung von „Clärchens Witwenball“ Grundstock für den heute noch populären Tanztempel.
© Text: Annette von Czarnowski – www.vonczarnowski.de
Faksimile der Erstausgabe, 1987
Faksimile der Erstausgabe von 1996
Die Neuauflage:
Curt Moreck: Ein Führer durch das lasterhafte Berlin. Das deutsche Babylon 1931. 208 Seiten, 30 Abb., 2 Karten, 12,0 x 19,5 cm, Gebunden mit Schutzumschlag, Neuauflage im Bebra-Verlag Februar 2018, ISBN 978-3-89809-149-7
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